Und zuerst glaubte ich noch an eine ironische Wahl. Ein verkorkste Idee aus den weiten des Internets. Reddit, die 9Gag-Army, Reconquista Internet oder Dogs on Acid haben die Awards geentert und mit hunderttausenden Votes an sich gerissen. Quasi eine Protestaktion. Aber nichts dergleichen. Wir müssen den Tatsachen in die Augen sehen: Desire ist der allerbeste Track der Welt und AndyC der Gott der Götter! Doch nicht so schnell:
Die Verleihung der Drum&BassArena Awards 2018.
Zur Feier der zehnjährigen Tradition hat sich bei den Drum&BassArena Awards einiges geändert. So gibt es bei dem Publikumspreis kein Publikum mehr – zumindest nicht analog vor Ort. Über den digitalen Livestream sitzt jetzt jeder im »Front-Row-Seat« (digital Host ab 00:01:52). Das wirkt leider etwas unglücklich. Denn es fehlen die, die den Preis verliehen haben: die Crowd. Und ohne Crowd, keine Vibes. Vielmehr wirkt die Verleihung, wie eine kleine Familie beim Wichteln. Auch die Bühne ist dementsprechend kleiner geworden, und versprüht deutlich weniger Hollywood. Eine Verleihung auf Augenhöhe ist prinzipiell nicht schlimm, aber sie nimmt den Glanz und hemmt gemeinsam mit dem fehlenden Publikum die Stimmung.
Darüber hinaus wurde die Ko-Moderation der MCs Jenna G. und Pavan gekappt und durch eine Mischung aus Moderatorin und digital Host ersetzt. Die Verleihung 2017 war geprägt von den Blödeleien des Duos Jenna und Pavan. Durch ein Zusammentreffen zweier Charaktere entsteht eine Dynamik: Während die eine redet, macht der andere kommentierende Geräusche. Während der eine den Faden verliert, kann die andere übernehmen.
Dafür war bei der diesjährigen Verleihung kein Raum. Denn diesmal stand Jenna alleine auf der Bühne. Zwischendurch übergab sie an den neu eingeführten digital Host, der per Video-Einblendung in einem animierten Studio erscheint. Diese Einspieler sind bereits vorab aufgenommen, sodass zwischen Moderatorin und digital Host erst gar keine Dynamik entstehen kann.
Der digital Host an sich, ist aber eine spannende Neuerung. Er versorgt die Zuschauer mit Hintergrundinformationen, spiegelt als Jury-Mitglied die Jury wieder und liefert ein wenig Meta-Information. Deshalb macht es auch Sinn ihn gesondert abzuheben, und ihn in einen quasi neutralen digitalen Raum zu stellen. Doch dann ist es der selbe digital Host, der auch die Gewinner interviewt und überraschend analog mit Ihnen Backstage sitzt. Das ist inkonsequent.
Entweder sollen die Interviews ebenfalls im digitalen Raum stattfinden, oder eine andere Person als der digital Host sie interviewen. Die Interviews sind aber eine Bereicherung. Der Zuschauer bekommt die Gewinner etwas genauer zu Gesicht als auf der Bühne, holt sich einen kleinen Blick behind the Scenes und wird von den kurzweiligen Dialogen unterhalten. Man könnte sagen, zwischen Gewinner und Interviewer entstehen hier Dynamiken, wie sie mir bei der Moderation fehlen. Jedoch sind sie von zu kurzer Dauer um die gesamte Sendung zu tragen.
Durch das fehlende Publikum, die kleinere Bühne und das starre System aus Moderatorin und digital Host, fehlt es der diesjährigen Verleihung an Lässigkeit. Unglued, Gewinner des best Remix, hat es zu Beginn seiner Dankesrede auf den Punkt gebracht: »It’s very civiliced in here, isn’t it? I think everyone should have some more beers and stop being so well behaved.« Doch kommen wir nun zum größten Problem im System der Awards:
Desire ist nicht der beste Track der Welt – und Drum&BassArena weiß das auch.
Das Problem Publikumspreis
Publikumspreise sind im Kern ein guter Gedanke. Demokratisch und transparent werden Gewinner von denen gekürt, auf die es ankommt: Dem Publikum. Keine Hinterzimmertreffen einer Jury, kein abgekarteter Lobbyismus. Eigentlich das, was sich ein großer Demokrat wünscht, um in den Worten eines bayerischen Monarchen beim größten Sportverein der Welt zu schreiben.
die Masse irrt
Doch die Masse irrt. Oder milder ausgedrückt: Die Masse kann nur widerspiegeln, was bereits populär ist. In einer Publikumswahl findet keine Berücksichtigung anderer Werte Platz; es findet keine übergreifende Kuration statt, welche wahre Meilensteine würdigt, die vielleicht nicht in dem Maße gekauft und gehört werden, wie die neueste Universal-Platte. Sicherlich berücksichtigen einzelne Voter auch andere Faktoren, aber diese gehen in der Masse unter. Wenn du jeden fragst, welche die beste Platte ist, wirst du im Schnitt die beliebteste Platte als Antwort erhalten. Das ist auch nicht weiter tragisch, denn auch die beliebteste Platte sollte gewürdigt werden – aber dann sollte man sie auch so bezeichnen.
Leider betitelt Drum&BassArena jede Kategorie mit »best«. Was ist damit gemeint? Best composition, best sounddesign oder best selling?
Mir fehlt bei den Awards die Diversität. Das wird deutlich, wenn man auf die Gewinner der letzten zehn Jahre blickt. Wo sind Rawtekk oder Technical Itch? Wo sind Critical, Eatbrain, oder auch nur irgendein Label, das nicht Ram oder Hospital Records heißt? Vieles, was das Genre in den letzten zehn Jahren geformt hat, ist unter den Gewinnern der Drum&BassArena Awards nicht vertreten. Auch, dass das Let It Roll, als größtes D&B-Festival erneut die meisten Stimmen für sich verbucht, verwundert nicht. Jedes Jahr die selben Namen und kaum Überraschungen. Es bleibt ein abgefeiere der Gefeierten. Und obwohl Drum&BassArena nicht müde wird zu betonen, dass es sich bei den Awards um einen Preis von uns allen handelt, fühlen sich diese Awards nicht wie meine Awards an.
Am spannendsten finde ich noch die Newcomer-Kategorien, bei denen immerhin neue Namen zu lesen sind und gezwungenermaßen Abwechslung herrscht, sowie die Frage, wann AndyC zum ersten Mal nicht best DJ wird.
Wer D&B weiterentwickeln will, sollte nicht die ins Rampenlicht stellen, die dort bereits wohnen.
Und klar – es ist ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite will ein Award Meilensteine würdigen. Auf der anderen Seite soll er auch Aufmerksamkeit generieren. Denn ohne Zuschauer und Sponsoren, kein Award. Und wer möglichst viel Aufmerksamkeit erzeugen will, lässt alle voten, sharen, liken und nutzt die bereits vor den Awards populären Gewinner als Werbefiguren. Unter anderem deshalb sind die Drum&BassArena Awards auch so populär. Wer aber Innovation fördern, und das Genre weiterentwickeln will, der sollte eben nicht jedes Jahr aufs Neue Jene ins Rampenlicht stellen, die dort bereits wohnen.
Auch Drum&BassArena weiß um das Dilemma
Schauen wir uns einmal die aktuelle Verleihung der Awards genauer an, wird klar, dass auch Drum&BassArena ringt, mit ihrem Publikumspreis. So ist der Digital Host an sich, bereits ein Zugeständnis an die fehlende Tiefe des Gewiner-Katalogs. Denn er führt nicht nur Hintergrundinfos an, sondern relativiert in seinen Einspielern immer wieder die Gewinner, und betont, wie knapp die Zweit- und Drittplatzierten den Thron erklommen hätten. So erklärt der digital Host auch bereits zu Beginn, worum es bei den Awards eigentlich gehe:
Our tenth annual Awards is a total switch up. This year we are taking a much deeper dive into the whole Awards process. Because it’s not just about the winners. This is about the vintage year that we’ve had in Drum&Bass and everybody who has taken part to make it happen.
digital Host (0:00:19)
Auch aufkommender Kritik möchten die Awards direkt begegnen, indem präventiv die Gewinner rechtfertigt werden:
(…) you might not agree with the winners. That’s the beauty of personal taste. But you have to admit, that the awards represent an entire cross section and a massive junk of the scene.
digital Host (00:01:23)
Und das stimmt auch. Die Awards spiegeln die kulminierte Meinung so vieler Junglists wieder, wie kein anderer Award. Doch selbst der digital Host kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Masse nicht immer die beste Wahl trifft:
There’s been a travesty. I admit I’m a bit annoyed about and that is there is a massive album, that wasn’t nominated then, it didn’t even come in the nominations: Blocks and Eshers Album. That has been my favorite Album for a very long time.
digital host (00:38:33)
Damit und mit dem digital Host an sich, zeigen sich die Bemühungen der Awards, nicht nur die streitbaren Gewinner zu feiern. Und wenn, der Moderator erklärt, was das tolle an Ihren Jury-Preisen »Hall of Fame« und »Critics Choice« ist, nämlich eben die Berücksichtigung von konsistenter Qualität abseits des Mainstreams, dann wird endgültig klar, dass auch Drum&BassArena mit ihren Publikums-Preisen hadert:
[…] the Critics’ Choice Award is voted for by a panel of about 50 bloggers, journalists writers from around the world. Nerds like me. The idea being that if you are in this lucky position then you do your best to check the entire scene and not just focus on one particular sound. And because you’re checking the whole scene, you’ve got a completely different perspective on who deserves an awards but might be overlooked by the public vote. We’re talking about artists, who work tirelessly behind the scenes and really make things happen but never shouts or brags or boasts about it.
digital Host (00:43:05)
Deshalb schlage ich vor:
1. Publikumspreis
2. Jurypreis
Die Drum&BassArena Awards sollen ein zweigleisiges System fahren: 1. Publikumspreis; 2. Jury-Preis. So gäb’ es für jede Kategorie zwei Gewinner. Die Jury sollte öffentlich bekannt sein, und eine diverse, multinationale Mischung aus Produzent*Innen, DJs, MCs, Veranstalter*Innen, Musikhistoriker*Innen, Musikwissenschaftler*Innen, Journalist*Innen und Hörer*Innen bestehen. Durch die Vergabe eines Publikums- und Jury-Preises wird der Jury der Druck genommen, populäre Kandidaten ins Feld zu führen, nur um der Masse gerecht zu werden. Außerdem sind mehrere erste Preise in Zeiten von America First wohltuend.
Und Jury-Preise würden auch nicht das Konzept des Awards komplett umkrempeln. Schon jetzt gibt es die von einer Jury kuratierten Kategorien Critics’ Choice und Hall of Fame. Das müsste nur noch ausgebaut und transparenter gestaltet werden (zum Beispiel durch einen Begründungstext auf der Website).
Ebenfalls eine Überlegung wert, ist sich ein wenig von der jahresweisen Betrachtung zu lösen. Viele Werke entfalten erst mit der Zeit Ihre Bedeutung. Dafür zusätzliche Kategorien einzuführen, fänd’ ich spannend. Auch könnte ich mir vorstellen, in einem Jahr mehrere Gewinner von der Jury zu verkünden – wenn es denn wirklich angebracht ist.
Damit könnten die Drum&BassArena Awards nicht nur mindestens so viel Aufmerksamkeit erzeugen wie bisher, sondern zusätzlich konsistente Qualität abseits des Mainstreams belohnen sowie Neues fördern. Damit könnten die Awards ein breiteres Spektrum der aktuellen Drum&Bass-Landschaft abbilden, und zeigen wohin sich das Genre entwickeln wird. Damit könnten die Drum&BassArena Awards auch zu meinen Awards werden.
Drum&BassArena Awards
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ENactiv
•6 Jahren her
Ich bin jetzt mal ganz subjektiv und geb mir überhaupt keine Mühe zur
Objektivität zu greifen. Der Track ist kacke und die Veranstaltung ein Witz. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ^^