Anfang des Jahres veröffentlichte Drum&Bass-Produzent Mistabishi rassistischen Äußerungen in sozialen Netzwerken. Der Londoner hetzte gegen Ausländer, und forderte eine homogene Gesellschaft. Dafür bekam der Mann hinter Printer Jam schnell die Quittung: satirische Artikel, Beschimpfungen und eine Kündigung der Zusammenarbeit mit seinem Label folgten, und uns stellt sich die Frage:
Wie sollen wir als Konsumenten und DJs mit Mistabishi und seinen Liedern umgehen? Sollten künstlerische Werke für sich stehen, oder kann man ein Werk gar nicht von den Handlungen und Vorlieben seines Künstlers trennen?
viele geniale Künstler waren Straftäter
Wenn wir in die Geschichte der Kunst zurück blicken, gibt es viele Künstler, die sich strafbar machten, aber deren Werke wir heute konsumieren und wertschätzen.
Erst Letztes Jahr gab es in der Filmbranche einige Skandale, unter anderem um House of Cards-Hauptdarsteller Kevin Spacey. Die Konsequenz: Netflix verbannt Spacey von zukünftigen Produktionen, aber die bisherigen Episoden bleiben im Angebot. 2015 machte der Techno-Produzent Ten Walls homophobe Äußerungen, worauf ihm alle Veranstalter absagten. Drei Monate später veröffentlichte er ein gemeinsames Lied mit einem Transgender-Sänger; mittlerweile hat Ten Walls wieder Auftritte. 1977 hatte Roman Polanski Sex mit einer 13-Jährigen. Seitdem hat er sechs Oscars gewonnen. In den 50ern hat Alfred Hitchcock Frauen belästigt. Seit dreißig Jahren gehen Kinder in die Hollywood-Tour vom Phantasialand. In den 30ern hat der Schriftentwerfer und Bildhauer Eric Gill, seine Kinder missbraucht und inzestuöse Liebschaften gepflegt. Heute ist seine Schrift Gill Sans auf jedem Windows und Mac OS vorinstalliert.
Die Geschichte zeigt: Die Zeit neigt zum Vergessen. In vielen Fällen überdauert das Werk, die Straftaten. Nach ein paar Jahren sind die Taten schnell vergessen; dem Werk – und damit auch dem Künstler – wird eine zweite Chance gewährt.
zweite Chance
Aber auch wenn der Künstler noch lebt, wäre es unfair ihn für alle Zeit aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Das deutsche Rechtssystem basiert auf dem Prinzip des Vergebens. Wir vertrauen in die Besserung von Menschen – selbst von Mördern. Auch kann man Mistabishis Werke nicht aus den Geschichtsbüchern streichen. Mistabishi mag man ja verschmerzen, aber wie sähe es aus, wenn Goldie oder DBridge in ähnliche Vorfälle verstrickt wären? Den Einfluss ihrer Lieder auf das gesamte Genre kann, und darf man nicht vorenthalten.
Was tun?
Wenn wir nun Mistabishis Lieder weder kaufen sollen, noch deren Popularität steigern möchten, sie aber auch nicht totschweigen können, wie sollen wir verfahren?
Die Lösung heißt: Konsumbewusstsein. Konsumenten – gerade professionelle Konsumenten, und damit meine ich DJs – sollten sich informieren, wessen Musik sie hören, weiterverarbeiten und ihren Freunden oder ihrem Publikum vorspielen.
Wie die reflektierte Präsentation eines Werkes von einem strittigen Künstler aussehen kann, zeigte letztes Jahr das Ditchling Museum of Art & Craft in England, mit ihrer Ausstellung über Eric Gill. Zentrale Frage der Ausstellung war, ob die »verstörende Biografie« Gills unsere Rezeption seiner Werke beeinflusst. Gut, im Klub wird es nicht möglich sein, kurz vor dem Lied, alle Straftaten des Interpreten aufzuzählen, und das Stück mal eben geschichtlich einzuordnen. Aber dann ist der Klub eben kein geeigneter Ort mehr, um Mistabishis Lieder zu spielen.
Mein persönlicher Ansatz ist der, dass ich keine Lieder von Mistabishi kaufen werde. Auch möchte ich persönlich keins seiner Lieder mehr im Klub hören. Zumindest solange er nicht durch Taten zeigt, dass er kein Rassist ist. Und um die Frage, die der Titel aufwirft zu beantworten: Ja klar, du darfst Mistabishi weiterhin hören. Aber gerade als DJ solltest du dich informieren, bevor du den Abspiel-Knopf drückst.
Stefan
•7 Jahren her
Es war auch nicht einzig auf deinen Artitkel bezogen sondern der Gesamtsituation geschuldet 😉 Das hätte ich besser hervorheben sollen. Ich finde es schlicht extrem anstrengend in so einer !von allen Seiten! nur so vor Populismus wimmelnden Zeit zu leben. Ich habe einfach insgesamt das Gefühl, dass nur noch die eigene Meinung als ultimative Weisheit gilt. Von Rechts, von Links von der Mitte. Jeder maßt sich an über andere zu richten, jeder maßt sich an die Warheit gepachtet zu haben und ein Vorrecht darauf zu besitzen recht zu haben. Ich kann da auch kaum noch ausnahmen sehen, die Feministische Fraktion ist voll im Recht, die Ernährungsfraktion ist voll im Recht, die Rechte ist im Recht, die Linke ist im Recht… Alle sehen nur noch die eigene Bibel als Wort Gottes an aber andere Bücher sind Dreck. Ich kann mich damit einfach nicht mehr identifizieren, mir ist da zu wenig Konsenzbereitschaft und ein mangel an Bereitschaft zu kontroverser Diskussion, zu viel Mistgabel und Pöpel und zu wenig Akropolis… Das tut mir einfach weh und ich denke wir sollten mal wieder versuchen Brücken zu schlagen, statt Gräben zu graben. Linus, sorry wenn ich hier Dinge die nicht auf deinen Artikel zutreffen projeziere, nenn es verzweiflung bei so viel Irsinn da draußen. 🙁
Linus
•7 Jahren her
Danke für deinen ausführlichen Kommentar. Ich werde mal punktartig darauf eingehen.
1. zu dem politisieren: Klar, muss man nicht alles politisieren, aber ich finde schon, dass man auf Inhalte achten sollte. Mistabishi hat den Fehler gemacht, öffentlich und unter seinem DJ-Pseudonym rassistische Aussagen zu machen. Seine Werke mit diesen Aussagen in Verbindung zu bringen, ist nicht weit hergeholt. Er hat die Politisierung selbst erzeugt.
2. zu den informierten DJs: Wenn sich schon die DJs nicht informieren, dann weiß ich auch nicht weiter… Jemand der ein Handwerk professionell ausübt, ist meiner Meinung nach verpflichtet, sich mit der Geschichte seines Handwerks zu beschäftigen. Zumal DJs nun wirklich nochmal eine besondere Gattung sind: Ihr Werk besteht zu einem enormen Teil aus fremden Werken. Wichtiger Bestandteil ihres Tuns (manche sagen sogar DER wichtigste) ist eben die Selection, also das Aussuchen. Da nur nach rein ästhetischen Gesichtspunkten zu entscheiden, finde ich zu wenig.
3. zu dem Ausgrenzen: Hier hast du mir ein wenig andere Worte in den Mund gelegt. Ich habe Mistabishi nicht auf alle Zeit verbannt, sondern gesagt: »Auch möchte ich persönlich keins seiner Lieder mehr im Klub hören. Zumindest solange er nicht durch Taten zeigt, dass er kein Rassist ist. « Auch ein ganzer Abschnitt des Artikels heißt »zweite Chance.«
4. zu Reggae: Der Vergleich hinkt meiner Meinung nach. Nur weil es viele Leute gibt, die bei Reggae-Liedern nicht mal dem Text zuhören, heißt das doch nicht, dass das gut ist. Man kann doch nicht eine Kultur zelebrieren, aber sich dann nur die Teile heraussuchen die einem passen. Dann muss man sich schon, von den anderen Teilen distanzieren. Einfach ignorant zu sein, und im Zweifel zu sagen: »Davon habe ich nichts gewusst.« Ist eine einfache, aber nicht gerade clevere Lösung.
Stefan
•7 Jahren her
Ich finde man muss nicht alles politisieren und man muss als DJ auch nicht informiert sein oder ein politisches Statement setzten, das kann man tun hat aber mit der persönlichen Einstellung zu tun. Ich möchte keine Lieder mehr im Club hören halte ich für polemisch und tatsächlich etwas weit hergeholt. Wie viele Menschen hören Raggae, zutiefst Homophob, und halten sich gleichzeitig für ultra tolerante Menschen. Ich hab ehrlich gesagt garkeinen Plan welcher Musiker welchen politischen Ansatz verfolgt es sei denn er geht damit musikalisch offensiv um.
Da stellt sich mir dann die Frage “Ist ein bekennender Kommunist, der wohlmöglich auch die im Kommunismus entstandenen Greuel gutheißt eine Persona non Grata und nicht mehr hörbar”. In der Tendenz warscheinlich nicht, ich vermute die Diskussion gäbe es bei einer solchen Person erst garnicht. Mir ist das ein wenig zu scheinheilig, als Mensch der politischen Mitte möchte ich insgesamt mal wieder um einen aufgeklärteren Umgang mit politischen Einstellungen bitten, es ist alles diskutierbar und vielleicht sollten wir mal die “Mistgabel” des “Non-Gratierens” wieder einstecken und zuerst reden und dann verbannen, wer kennt denn diesen Künstler schon, wo durfte er seine Meinung rechtfertigen (ohne gezwungen zu sein sie zu revidieren)…
Es passt den meisten Menschen nicht, mir auch nicht, wenn jemand sich rassistisch verhält aber es ist die selbe Form der Verbannung und Verachtung mit denen wir jene strafen, die sich nicht unserem Weltbild entsprechend äußern und verhalten. Das halte ich für tendenziös, scheinheilig und extrem mit zweierlei Maß gemessen. Entweder man versucht alle Menschen an Board zu holen oder garkeinen, aber einen raus schmeißen nur weil er sich nicht so verhält wie man sich das wünscht, jedoch ohne ihm die Chance zu lassen sein Handeln zu rechtfertigen und ggf. im Diskurs zu überdenken… Ne, das it genau das was mir im Umgang mit Rechtsaußen so auf den Keks geht, mit diesem Verhalten füttern wir das Monster, wir hungern es nicht aus.