In Georg Tkalecs Einstandserie als Mitschreiber für Trommel & Bass geht es um die verschiedenen Möglichkeiten, Musik zu hören und zu machen; um Chaos und Ordnung und wie immer ein bisschen um den Sinn des Lebens.
Der Mythologieforscher Joseph Campbell bemerkt in seinem bahnbrechenden Werk »The Hero with a Thousand Faces«, dass die prototypische Reise des Helden in allen Kulturen eigentlich dieselbe ist: Der Held wird aus seinem gewohnten Alltag in unbekannte Gefilde (die Unterwelt z.B.) entrissen, konfrontiert den Drachen, besiegt diesen und kehrt schließlich mit seiner Geschichte wieder zurück in die normale Welt. Erst diese Rückkehr ist es übrigens, die ihn zum Helden macht, da er erst dadurch seine Erfahrungen der Allgemeinheit zugänglich macht, der sie sonst verschlossen blieben.
Der leider chronisch missverstandene kanadische Psychologe Jordan Peterson hat darauf hingewiesen, dass aus psychologischer Sicht die Reise in die Unterwelt nichts anderes ist, als der Übertritt aus der mehr oder weniger etablierten Struktur des alltäglichen Lebens in das Chaos: und — ich denke wir kennen das alle — es gibt wenig Schlimmeres, als die mühsam zusammengezimmerte Barke unseres Daseins in die stürmischen Fluten der chaotischen See versinken zu sehen.
Aber: es gibt auch kaum etwas Besseres als das Wiederauftauchen des Überlebenden, der siegreich wieder an die Oberfläche steigt um von seinem Schiffbruch, der Unterwelt und den letztlich bezähmten Dämonen zu berichten; und tatsächlich sind es jene Helden, die in uns das Gefühl bestärken, dass es mehr gibt als das in der Langeweile unseres Angesichts erworbene täglich Brot. Tief in uns schlummert doch selbst der — vielleicht etwas verrückte — Drang, wieder einmal auszuziehen, dem Drachen zuzuzwinkern und zu spüren, dass das allweil so umsorgte Morgen doch auch einfach mal Morgen bleiben kann.
So weit, so gut. Und was hat das alles jetzt mit irgendwas zu tun?
Nun, wenn wir diesem Gedanken ein wenig weiter folgen so wird schnell klar, dass nicht nur die Odysseusen und Heraklessen ihre hehren Abenteuer bestreiten, sondern das der ewige Tanz zwischen Ordnung und Chaos allem innewohnt, das lebt, und das notwendig so. Tatsächlich scheiden Orpheus‘ Exkursion in den Hades und den Versuch, ein Curry zu retten, bei dem man mitten im Kochen feststellt, das einem Zutaten fehlen, nur technicalities.
Musik schließlich — um die es hier ja eigentlich gehen soll — versucht, im rechten Lichte betrachtet, nichts anderes — wie jeder weiß, der irgendwann versucht hat, Musik zu machen. Am Anfang steht immer das Chaos, und jeder Produzent blickt in den schlimmen Stunden der Überforderung mit Neid auf den Instrumentalisten, der wenigstens durch sein Instrument limitiert ist. Das elektronische Universum aber ist endlos, die Möglichkeiten zahlreicher als die Sterne am Nachthimmel der Atacama, das Potential vollständig vorhanden aber nicht ein Bit weit realisiert. »Shape the Random« nannte Phace sein zweites Album, und abgesehen von den dankbar angenommenen Konventionen des Two-Step Rhythmus (und seiner Abwandlungen freilich), des Tempos und der ungefähren Struktur (sowie der sich im Laufe der Jahrhunderte als sinnvoll etablierten groben Frequenzschichtung) bedeutet produzieren vor allem eines: mit Hilfe tausender kleiner Entscheidungen langsam ein bisschen Ordnung in den wirren Tanz der Moleküle zu bringen. Aber freilich soll es nicht nur ordentlich sein. Es soll auch grooven, überraschen, verblüffen zumal, unten dick sein und oben fluffig, mitreißend aber nicht billig sein, charakterlich eigen aber nicht seltsam, kurzum: stets ein Meisterwerk des Genres, jetzt und immerdar, zeitlos wie der Raum vor Einstein und erfrischend wie der Frühling.
Letztlich ist Musikmachen die akustische Darlegung eben dieses Abenteuers, des Auszugs in die ungewisse Welt der Möglichkeiten, des Ringens mit dem Drachen und die mal triumphale, mal geknickte Heimkehr mit der hoffentlich dicken Frequenzbeute. Darum ist Musikhören meiner Meinung nach auch eine der intensivsten Konfrontationen mit der Welt eines anderen Menschen, stets durchdrungen von der Frage (ob bewusst oder unbewusst): macht diese Ordnung der Welt auch für mich Sinn? Und: will ich mit diesem Drachen – tanzen?
Man sieht (hoffe ich) worauf ich hinaus will: dass das ewige Pas de deux zwischen Chaos und Ordnung unser Leben konstituiert bis ins Größte und Kleinste, ins Wichtigste und natürlich auch den letzten Scheiß. Der Gewinn, den wir schließlich aus dieser Sicht der Welt ziehen können, ist die einfache Fassbarkeit, die sie Dingen — nicht zuletzt den musikalischen — verleiht. Die höchste Kunst des Produzierens (und des Lebens) liegt schließlich in der Einfachheit, der Simplicty, in der das Genie destilliert und das Gold vom Schotter getrennt in (fast) reiner Perfektion vor uns liegt, und oszilliert. (Was sonst?) Vielleicht hilft es also, sich von Anfang an auf das simpelste Prinzip zu stützen, wenn man sich aufmacht, ein Abenteuer zu kreieren, das es Wert ist, erlebt zu werden…
Joseph Campell - The Hero With A Thousand Faces (pdf) Jordan Peterson - The Psychological Significance of the Biblical Stories Der kleine Drache Kokosnuss
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