Drei lokale Größen sprechen in drei Unterhaltungen über die Subbass-Szene Leipzigs. Heute geht es um eine erodierende Clublandschaft, illegale Open Airs und das Fraunhofer-Institut.
Die Szene ist sehr lebendig, sehr aktiv. Es gibt fast jede Woche eine D’n‘B-Party in der Stadt, das ist nicht so häufig in Städten solcher Größe zu finden.
audite von Boundless Beatz wühlt in Erinnerungen, um mit Präzision zu antworten: Welche Bedeutung kommt Leipzig als Standort für die wuchtige Bassmusik zu? »Der Osten hat schon immer eine Underdog-Rolle im Drum & Bass gespielt. Gerade in der Zeit vor social media, in den Internetforen, hatte ihn keiner so wirklich auf dem Schirm, obwohl hier in Leipzig immer was ging. Das hat sich verändert. Heute weiß man, dass wir hier eine kleine, aber feine Szene haben.« Dubbalot: »Die Szene ist sehr lebendig, sehr aktiv. Es gibt fast jede Woche eine D’n‘B-Party in der Stadt, das ist nicht so häufig in Städten solcher Größe zu finden.« Das bestätigt ein Blick auf itsyours.info, Leipzigs D‘n‘B-Kalender.
»Es stellt einen herben Verlust für die Subkultur dar, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Clubs wegbrechen«
Dass sich bis heute Event an Event reiht, ist der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Crews zu verdanken, die oft miteinander zusammenarbeiten und auflegen. Als Geburtsstätte der Leipziger D’n‘B-Szene wird oft das Conne Island genannt: Malcolm – Gründungsmitglied bei Ulan Bator – wird als Mann der ersten Jungle-Stunde Leipzigs gesehen. Ebenso wichtig ist Booga, der das heute aktivste Drum & Bass Label Leipzigs betreibt. Heute tönen im Connewitzer Club andere Klänge durch die Großmembran-Soundanlagen. Es stelle einen herben Verlust für die Subkultur dar, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Clubs wegbrächen, die D’n‘B spielen, so audite. In den letzten paar Jahren waren das mehr als die Hälfte – worunter wieder die Vielseitigkeit innerhalb der Szene leide. Gerade das Conne Island trage nicht mehr durch D’n‘B-Veranstaltungen zur Erhaltung der Genrekultur bei. Es sehe sowieso nicht besonders positiv im Club-Terrain aus.
»Man kann es mit einer lodernden Flamme vergleichen, die mal kleiner, mal größer ist.«
Ulan Bator blicken der Event-Kultur stoisch entgegen: »Man kann es mit einer lodernden Flamme vergleichen, die mal kleiner, mal größer ist. Mal sprechen mehr Leute davon, mal ist es nicht mehr in aller Munde, aber die Partys existieren immer mindestens im Hintergrund«, sagt Derrick. Und: »Wir haben eigentlich Glück, so einen gut funktionierenden ›Mainstream‹ innerhalb der Szene zu haben. Der Breakbeat – auf dem D’n‘B und Jungle nun mal fußen – ist eigentlich nichts, was in unserem Gesellschaftssystem gut ankommt. Er ist nicht straight, er ist schnell und akustisch schwer nachvollziehbar. Er besteht aus Layern (Schichten): Wenn man sich den Bass isoliert anhört, kann man auf ihm tanzen, wie zu Reggae. Wenn du auf die Drums hörst, hörst du komplexe Amen-Breaks, die sind mehr was für Perkussion-Liebhaber. Das überfordert manche Hörer.«
Was alle Szenen wohl gleichermaßen hart getroffen hat, war die große Wende der Musikindustrie: Die Einführung des mp3-Formats Anfang des Jahrtausends durch das Fraunhofer-Institut. Musik wurde viel leichter reproduzierbar und übertragbar. Heute besteht dadurch die künstlerische Herausforderung nicht nur beim Musiker. Der Hörer wird in die Pflicht genommen, bei einer Überladung durch täglich produziertes und veröffentlichtes Material das auszuwählen, was er für originell hält. Früher waren diesem Schritt Plattenvertriebe und -händler vorgeschaltet. »In den 90ern durchlief ein neuer Song immer eine lange Reise: Der Produzent war erstmal der einzige, der ihn hatte, sowie der DJ. Anschließend musste ein Label gefunden werden, das ihn veröffentlicht. Dann musste der Titel in UK in die Läden kommen. Erst am Ende kam das Ding nach Deutschland. Und dann sind anderthalb bis zwei Jahre rum. Erst dann haste die Platte in der Hand und denkst dir, ›geil, ich hab ́se endlich!› Das ist’ne ganz andere Wertschätzung.« Und zwischen all diesen Stationen traf man sich im Plattenladen, jeden Donnerstag kamen neue Tunes rein. Heute sind diese Etablissements vom Aussterben bedroht, und mit ihnen sterben Orte des musikalischen Austausches.
»Es wäre schön, wenn die Stadt Leipzig etwas offener mit der Szene umginge. Zum Beispiel ist es in Leipzig super schwer, ein Open Air zu veranstalten. Entweder du machst es illegal, oder du hast einen kaum zu bewältigenden Berg Bürokratie vor dir.«
Ist nichts stärker als eine ökonomisch funktionelle Idee, deren Zeit gekommen ist? Was tun in Zeiten von mp3 und YouTube-Premieren? Jammern hilft bekanntermaßen wenig. Veranstaltungen sind jetzt wichtiger denn je, wissen Ulan Bator. Und stetiger Nachwuchs, der für diese sorgt. Davon gibt es momentan aber viel, freut sich MechxnizeD von 2 Guys 1 Dub. »Es kommen ständig neue hinzu und steuern ihren eigenen Sound bei«. Auch seine Crew gehört zu diesen jungen Sternen am Drum & Bass-Firmament Leipzigs: Ulan Bator existierten bereits über 20 Jahre, als 2G1D das erste Mal 2015 die Platten quietschen ließen. MechxnizeD würde außerdem gern die Stadtverwaltung an der Eventorganisation beteiligen. »Es wäre schön, wenn die Stadt Leipzig etwas offener mit der Szene umginge. Zum Beispiel ist es in Leipzig super schwer, ein Open Air zu veranstalten. Entweder du machst es illegal, oder du hast einen kaum zu bewältigenden Berg Bürokratie vor dir. Ansonsten wünsche ich mir all das für die Szene, was sie bisher immer charakterisiert hat: Kein Konkurrenzkampf – Peace, Love and Respect und so weiter.«
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Titelbild (bearbeitet) von LeipzigTravel – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0
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